Ich finde, du hast grundsätzlich Recht damit, dass Selbstreflektion, Heilung früherer Verletzungen und der Wille, an sich zu arbeiten, wenn man eigene "Baustellen" erkannt hat, wichtig sind. Nicht nur, um eine gute Partnerschaft finden und führen zu können, sondern generell für mehr Lebensqualität und Zufriedenheit. Es ist nie gut, das eigene Wohlbefinden von äußeren Faktoren oder anderen Menschen abhängig zu machen, und geht auch meistens schief.
Aber: Manche Dinge im Leben, zum Beispiel, wann der richtige Mann hinein tritt, lassen sich nicht planen. Ich war Anfang 20 extrem unglücklich und schleppte einen ganzen Sack voll psychischer Probleme (traumatische Beziehungserfahrungen, Depressionen, Essstörung, generelle Sinnkrise... ) mit mir herum. Immerhin war mir das bewusst und ich stand schon auf der Warteliste für einen Therapieplatz. Trotzdem eine denkbar schlechte Ausgangslage, um eine Beziehung einzugehen.
Wie es der Zufall wollte, begegnete ich aber just zu diesem Zeitpunkt meinem jetzigen Partner beim Ausgehen mit Freunden und es funkte auf der Stelle. Meine Familie war nicht begeistert, da ich in der Vergangenheit alles andere als ein gutes Händchen bei der Partnerwahl bewiesen hatte, und riet mir voller Sorge, das Dating in meinem labilen Zustand erstmal sein zu lassen. Ich sagte: "Das klingt wahrscheinlich verrückt, aber ich weiß, der hier ist anders. Ich kanns nicht erklären, aber ich sehe es in seinen Augen", und so war es auch.
Nach zwei Monaten wunderschöner Kennenlernzeit, als es erkennbar verbindlich wurde, litt ich aber zunehmend unter dem schlechten Gewissen, ihm meine Probleme zu verheimlichen. Das hatte ich bisher getan in der Überzeugung, so ein toller, positiver, ausgeglicher Mann würde mich dann zurecht nicht mehr haben wollen und auf der Stelle verlassen. Aber er hatte ein Recht darauf, es zu erfahren, und so erzählte ich ihm schließlich alles, Rotz und Wasser heulend ob der bevorstehenden Trennung.
Tja, was soll ich sagen: Er ist geblieben, nächsten Monat feiern wir Fünfjähriges, und Heirat wird langsam ein Thema.
Ich will nicht behaupten, dass er mich gerettet hat – das war schon hauptsächlich die jahrelange Therapie –, und ich würde nach wie vor jeder Person in ähnlicher Verfassung wie ich damals raten, sich erstmal ganz auf sich zu konzentrieren und auf Partnersuche zu verzichten. Aber ich kann auch nicht leugnen, dass seine Liebe, seine Unterstützung und sein von Anfang an fester Glaube daran, dass ich mehr bin als meine Vergangenheit, mir auf meinem Weg sehr geholfen haben. Ich bin froh, das Kennenlernen damals nicht abgebrochen zu haben, und sehr dankbar für mein großes Glück und die Tatsache, dass ich für ihn kein "NoGo" war.
W, 28