Meinen ersten Freund (wir waren 7 Jahre lang zusammen) fand ich anfangs unattraktiv, uninteressant und spießig. Wir waren in der Schule in derselben Stufe. Ein Jahr lang fand ich ihn weiterhin total doof. Man muß allerdings dazu sagen, daß ich schon vor unserer ersten Begegnung sehr negativ ihm gegenüber eingestellt war, weil eine Freundin von mir ihn schon vorher kannte und mir erzählt hatte, daß er nun auf meine Schule wechseln würde. Von daher wäre meine ablehnende Haltung wohl längst nicht so vehement ausgefallen, wenn ich ihn einfach so als neuen Mitschüler kennengelernt hätte und nicht durch Vorurteile beeinflußt gewesen wäre.
Auf einer Klassenfahrt lernte ich ihn dann näher kennen, erfuhr Seiten an ihm, die mir sympathisch waren und ich glaubte, mich in ihn verliebt zu haben. Aber neben einigen Charaktereigenschaften, die mich später störten, war es vor allem sein Aussehen, welches ich nach wie vor als nicht attraktiv empfand. Ich fand, daß sein Aussehen durchschnittlich war. Aber ehrlicherweise muß ich sagen, daß ich keinen einzigen Punkt fand, den ich wirklich so richtig anziehend gefunden hätte. Es kommt ja mal vor, daß man einen Mann zwar nur durchschnittlich aussehend findet, er aber ein total süßes Lächeln oder Lachen, umwerfende Augen oder sonstwas hat. Und sowas reicht mir dann auch teils schon, um einen Mann attraktiv zu finden.
Ich habe die ganzen Jahre darunter gelitten, daß ich ihn nicht wirklich attraktiv fand und hoffte immer, das würde sich noch einstellen. Ich schämte mich regelrecht und kam mir dumm und oberflächlich vor, weil einem doch immer erzählt wurde, daß der Charakter so viel wichtiger sei als die Oberfläche eines Menschen. Und da ich ihn charakterlich mochte und ihn schätzte (heute weiß ich, daß das keine Liebe war), habe ich versucht, an dieser Beziehung festzuhalten. Das hat mir damals allerdings sehr geschadet, da ich mich mental quasi selbst vergewaltigte und in einen Strudel von Schuldgefühlen hineinmanövriert hatte.
Heute weiß ich, daß zwar natürlich der Charakter letzten Endes immer das wichtigere ist, zumal gutes Aussehen - aus welchen Gründen auch immer - verschwinden oder sich mindern kann oder man sich auch einfach an ein gutes Aussehen gewöhnen kann und das dann nicht mehr so gravierend ist. ABER ich habe mir diese Erfahrung zur Warnung genommen und nach dieser Beziehung auf meinen Eindruck und meine innere Stimme gehört. Nach meiner Erfahrung ändert sich an der Einschätzung der Attraktivität des anderen nicht mehr viel. Durch näheres Kennenlernen kann mir ein Mensch immer sympathischer und vertrauter oder eben auch immer unsympathischer und fremder erscheinen. Aber daß sich meine Einschätzung bzgl. des Aussehens und der Attraktivität geändert hätte, nachdem ich ausführlich Zeit hatte, den anderen zu begutachten und nicht nur einen flüchtigen Blick auf ihn geworfen habe, das ist mir noch nie passiert.
So erklärt sich auch meine Einstellung, die ich in einem anderen Thread beschrieben habe, in welchem die Fragenstellerin sagte, daß sie ihren Datingpartner zwar sehr sympathisch aber körperlich eigentlich abstoßend gefunden habe.